Chinas industrialisierte Landwirtschaft braucht Training

Um die wachsende städtische Bevölkerung besser zu ernähren, verfolgt die Regierung in China ein ehrgeiziges Programm der Industrialisierung der Landwirtschaft. In der Schweinehaltung führt das zu Problemen der Lebensmittelsicherheit und des Umweltschutzes. Es fehlt an ausgebildetem Personal. Ein deutsches Konsortium ent-
wickelt deshalb mit Partnern in China ein praxisorientiertes Ausbildungsprogramm.

Wie schafft es China, seine Bevölkerung immer besser zu ernähren? Die Zahl der Bauern nimmt kontinuierlich ab. Die Mehrheit der Chinesen lebt heute in Städten und hat mehr und besseres Essen auf dem Tisch als alle Generationen davor. Bis Ende der 70er Jahre bestand die Diät auch der Stadtbewohner vor allem aus Reis oder Nudeln und Gemüse. In bäuerlichen Haushalten gab es Fleisch fast nur an Festtagen wie dem Frühlingsfest. 1978 wurden pro Kopf in der Bevölkerung 9 kg Fleisch produziert. Im Jahr 2012 verzehrten die Chinesen im Durchschnitt mehr als das Fünffache, 47 kg an Schweine-, Rind- und Hammelfleisch.

Gleichzeitig sank die Zahl der landwirtschaftlichen Arbeitskräfte. 1970 waren es 71 % aller Erwerbstätigen, 2012 noch 34 %, nachdem Hunderte Millionen in die neuen Reviere der Exportindustrie und in die Service- Branchen der Städte abgewandert sind.

„Drachenköpfe“ führen die Industrialisierung der Landwirtschaft an

Die Strategie der Ernährungssicherung, die die chinesische Regierung seit dem Beginn des Exodus aus den Dörfern in den 90er Jahren verfolgt, heißt programmatisch „Industrialisierung der Landwirtschaft“. Die Jahrtausende alte kleinbäuerliche Landwirtschaft, in der Bauernfamilien meist wenige Zehntel Hektar intensiv bewirtschaf-
teten und ein oder zwei Schweine hielten, verschwindet. An ihre Stelle treten auf ein Produkt, z.B. auf Schweine, spezialisierte Betriebe, die in weitgespannte Zuliefer- und Verarbeitungsketten eingespannt sind.

Diese Produktions-, Verarbeitungsund Vermarktungsketten werden von offiziell „Drachenkopf-Unternehmen“ genannten Leitunternehmen geführt. Deren wichtigste und von der Politik ausdrücklich geforderte Aufgabe ist es, einen „Mechanismus der Interessenverknüpfung“ zu etablieren und „durch Ausstrahlung anzutreiben“, also in den Partnerbetrieben einen kontinuierlichen wirtschaftlichen und technischen Verbesserungsprozess zu befördern. Dafür werden sie finanziell und politisch vom Staat unterstützt und gelenkt. Zwischen 2000 und 2005 erhielten die Leitunternehmen Subventionen der Zentralregierung in Höhe von 11,9 Mrd. RMB (1,9 Mrd. US$). 2011 gab es 110.000 Drachenkopf-Unternehmen auf nationaler Ebene, die 110 Mio. Agrarbetriebe anführten.

Damit waren 60 % der Pflanzenproduktion und 70 % der Produktion von Hühnern und Schweinen unter ihrer Kontrolle. Schweinefleisch hat für die chinesische Politik besondere Bedeutung. Es gilt traditionell als besonders wertvoll und eine sichere und immer bessere Versorgung der Märkte ist Zeichen der Prosperität und erfolg-
reicher Politik. Der Selbstversorgungsgrad ist hoch und liegt bei über 95 %. Über 60 % der Schweine werden in modernen, spezialisierten mittelständischen Betrieben gehalten, nur 1,4 % in Großfarmen mit mehr als 50.000 Tieren.

Nachholbedarf

Die Farmen entsprechen, was die Stalltechnik, die Fütterungsmethoden, die tierärztliche Versorgung angeht, auf den ersten Blick modernen, an der Tierproduktion der USA orientierten Standards. Aber nur auf den ersten Blick. Immer wieder beunruhigen Lebensmittelskandale die chinesische Öffentlichkeit. Die Tausende toter Schwei-
ne, die 2013 die Flüsse bei Shanghai hinab schwammen, waren nur einer von vielen Skandalen. Belastung des Fleisches durch überreichlich verabreichte Antibiotika oder Wachstumsförderer, verdorbenes, aber als frisch deklariertes Fleisch im Handel oder in Schnellrestaurants sind fast an der Tagesordnung.

Eines der größten Probleme der modernen chinesischen Schweinezucht sind Hygiene und Tiergesundheit. Diese werden nicht nur durch technische Mängel in den Stallbauten und zum Beispiel unzureichende Belüftung gefährdet, sondern vor allem durch Managementfehler. Dazu zählen die zu enge Besetzung der Ställe, die Nichtbeachtung der Trennung von Tiergruppen in verschiedenen Produktionsphasen, inkonsequente Isolierung gegen die Außenwelt oder Ungezieferbefall.
Ein weiteres großes Problem ist die Umweltbelastung, vor allem durch die mangelhafte Gülleentsorgung.

Das alles wirkt sich auf die Wirtschaftlichkeit aus. Die Kosten sind höher, die Produktivität niedriger. Obwohl in den modernen Farmen fast ausschließlich die gleichen Rassen stehen wie in Nordamerika oder Europa, werden in China durchschnittlich nur 14 Ferkel pro Jahr und Sau abgesetzt. In den USA sind es 20, in Deutschland über 25 Tiere.

Ausbildung!

Der Schlüssel zur Lösung der Probleme der Biosicherheit, des Umweltschutzes und der Wirtschaftlichkeit ist die Qualifikation der Manager und der Mitarbeiter im Stall. Dabei ist das größte Hindernis für die Aus- und Weiterbildung das chinesische Bildungssystem in seiner derzeitigen Verfassung. Es ist geprägt von Wert-
schätzung der Buchgelehrsamkeit und der Geringschätzung körperlicher und besonders bäuerlicher Arbeit. Wo immer möglich, setzen Eltern alles daran, ihre Kinder auf eine Hochschule zu schicken und einen akade-
mischen Grad erwerben zu lassen.

Das führt zu freudlosen, durch sinnloses Büffeln geprägte Bildungsbiographien, die zudem häufig in der Ar-
beitslosigkeit enden, weil es bereits ein Überangebot an graduierten Akademikern gibt, während es an Arbeitskräften mit praktischen Fähigkeiten mangelt. Die Benachteiligung der Landwirtschaft im Bildungswe-
sen zeigt sich schon in den geringen Schüler- und Studentenzahlen. In allen Bachelor-Studiengängen von Hoch- und Fachhochschulen sowie den Einrichtungen der Erwachsenenbildung liegt der Anteil der Student-
en landwirtschaftlicher Fächer unter 2 %. Selbst an den Berufsmittelschulen, deren Auftrag die Ausbildung von Facharbeitern ist, werden nur 13 % der Schüler auf Agrarberufe ausgebildet.

Das reicht für eine Branche, in der über 30 % der Erwerbstätigen arbeiten, nicht aus. Die große Mehrheit der Landarbeiter hat also keine fachliche Ausbildung, wird „on the job“ angelernt und wendet das Wissen an, das sie aus der traditionellen kleinbäuerlichen Wirtschaft mitbringt. Die wenigen Ausgebildeten, die sie anlernen müssten, können das kaum. Sie haben meist keine praktische Erfahrung, weil die Schulausbildung sich bis auf kurze Praktika auf Buchwissen beschränkt.

Betriebsleiter klagen deshalb, dass die Hochschulabsolventen selbst erst lange eingearbeitet werden müssen und dann den Job oft wieder aufgeben, weil sie sich für die Arbeit im Stall zu fein sind.

Die Regierungen sind sich dieses Mangels bewusst und versuchen mit umfangreichen Weiterbildungsprogrammen gegenzusteuern. In der Provinz Jiangxi werden jährlich mehrere Millionen ländliche Arbeitskräfte in Weiterbildungen geschult. Der Staatsrat der VR China hat im Juni dieses Jahres. ein umfangreiches Programm zur beruflichen Bildung beschlossen, das die Einbeziehung der Betriebe im Sinne eines dualen Ausbildungssystems anstrebt.

Ausbildung in der Praxis für die Praxis

KTC, das Konsortium Tierwirt/in China, wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit dem Ziel gefördert, einen Beitrag zur Entwicklung praxisorientierter Aus- und Weiterbildung in der Schweinehaltung in der Provinz Jiangxi zu leisten. Mitglieder von KTC sind VzF GmbH - Erfolg mit Schwein, Uelzen, die Berufsbildende Schule Georgsanstalt, Uelzen, GBB Gesellschaft für Bildung und Beruf e.V., Dortmund, und Ostasien Service Dr. Boesken & Partner GmbH, Hamburg.

Partner in Jiangxi sind die für nachhaltige Entwicklung der Provinz Jiangxi zuständige Behörde MRLDO, der Schweinezüchterverband der Provinz, eine Gruppe von mit-
telständischen Unternehmen und lokale Fach- und Fachhochschulen. Die praktische Arbeit hat mit Bedarfsanalysen in den Betrieben und Lehr- und Übungsstunden in den Ställen begonnen. Unternehmer und Fachleute haben sich in Deutschland über die duale Berufsbildung und moderne Schweinehaltung informiert.

Jetzt werden längerfristige Programme vorbereitet, die sich an Betriebsleiter und Manager und an Arbeiter in den Betrieben richten. Ziel ist, neben der Erhöhung der Wirtschaftlichkeit, bessere Biosicherheit und Umweltschutz als Bedingung für den langfristigen Erfolg der Betriebe zu stärken.

 

 

 

Jochen Noth

Jochen Noth ist Mitglied im KTC Konsortium Tierwirt/in China.

KTC – Konsortium Tierwirt/in (China) ist ein Verbund von deutschen Bildungseinrichtungen und Unternehmen, die zusammen mit chinesischen Partnern einen Beitrag zur Berufsbildung ländlicher Arbeitskräfte in China leisten wollen. Das Vorhaben wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung für drei Jahre unter der Bezeichnung „Verbundprojekt: Ausund Weiterbildung für die Fachrichtung Tierwirt/in –Schweinehaltung“ gefördert.

www.tierwirt-china.com