Rückzug und Konflikt? Folgen einer Trump-Präsidentschaft für Asien

Der unerwartete Ausgang der US-Präsidentschaftswahl hat die Unsicherheit in einer ohnehin durch zunehmende Instabilitäten geprägten Welt weiter erhöht.

14.11.2016

Der Status der USA als größte Volkswirtschaft und nach wie vor weltpolitische Supermacht mit globalem Einfluss- und Ordnungsanspruch begründet die Einschätzung, dass die Wahl Konsequenzen für die ganze Welt haben wird. Dies gilt vor allem für den Raum Asien-Pazifik, welchem die Obama-Administration spätestens seit 2012 im Zuge ihrer „Hinwendung nach Asien“ besondere Aufmerksamkeit geschenkt und ihn als Schwerpunktregion zur Verteidigung amerikanischer Interessen im 21. Jahrhundert definiert hatte. Aus der fehlenden Erfahrung mit dem Politiker Trump, der Unklarheit hinsichtlich seines außenpolitischen Teams und bislang nur kursorischer programmatischer Grundsätze wird abgeleitet, dass es sich bei der neuen Regierung um eine Black Box handele, deren Maßnahmen und Strategien absolut unvorhersehbar seien. Diese Sichtweise ist arg übertrieben.

Sicherlich mag der Persönlichkeitsfaktor bei Donald Trump stärker wirken als bei früheren Präsidenten, aber gleichwohl gibt es Szenarien, die plausibler sind als andere. In jedem Fall existieren langfristig wirkende strukturelle Trends und Zwänge, denen selbst beim Versuch eines Fundamentalwandels kaum zu entrinnen wäre. Hinzu kommen die Begrenzungen der US-Verfassung, wobei anzumerken ist, dass der Präsident in der Außenpolitik über größere Spielräume verfügt als in der Innenpolitik. Einiges spricht dafür, dass Trump seinem Slogan „America First“ tatsächlich eine partielle Wende zu einer eher isolationistischen und eigennützigeren Grundposition folgen lässt, deren konservative Radikalform die Errichtung einer „Festung America“ wäre. Dass die USA aber von ihrem seit Beginn des 20. Jahrhunderts erhobenen Anspruch, eine besondere Rolle in Asien-Pazifik zu spielen, abrücken, kann als nahezu ausgeschlossen gelten.

Am wahrscheinlichsten ist daher eine selektivere und modifizierte Fortführung der Obama-Linie in Asien. Sehr große Fragezeichen stehen jedoch hinter dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP). Welche kurz- und langfristigen Folgen dürfte der Regierungswechsel also für die Region haben?

Skepsis in Ostasien
Es macht Sinn, hier (sicherheits-)politische und wirtschaftliche Aspekte voneinander zu trennen, obwohl beide Dimensionen real eng miteinander verwoben sind. Es gab gute Gründe, warum Trumps schrill und teils verstörend geführte Kampagne vor allem in Ostasien mit großer Skepsis verfolgt wurde. Für Japan und Südkorea ist die Perspektive eines sich aus der Region zurückziehenden Amerikas sowohl mit Blick auf ein den regionalen Status quo immer offener herausforderndes China als auch in Bezug auf ein unkalkulierbares Nordkorea sehr beunruhigend. Aber selbst wenn ein solcher Rückzug von Trump ernsthaft angedacht sein sollte, werden die Realitäten ihn – einmal nicht völlige Irrationalität unterstellt – schnell eines Besseren belehren. Ein nuklear bewaffnetes Japan, so wie von Trump gefordert, würde von China mit Sicherheit nicht toleriert werden. Eine Spirale der atomaren Aufrüstung in Ostasien, was die logische Konsequenz eines solchen Schrittes wäre, ist so ziemlich das Letzte, was als im US-Interesse liegend betrachtet werden kann. Allerdings ist allein der Fakt, dass hierüber überhaupt diskutiert wird, schon beunruhigend genug. Das langfristige Ziel muss die Errichtung einer robusten Sicherheitsarchitektur in Ostasien sein.
 
Auch wird sich bei Trump und dessen Umfeld die Einsicht durchsetzen, dass es sich bei Nordkorea um ein Weltordnungsproblem erster Güte handelt. In Militärkreisen wird bereits das nicht mehr ferne Szenario diskutiert, dass Nordkorea eine Interkontinentalrakete atomar bestückt, mit der das Territorium der USA erreicht werden kann. Ein offener Kontakt zu Nordkorea, so wie es Trump im Wahlkampf angedeutet hat, wäre womöglich sogar eine Chance, nachdem die internationale Isolations- und Sanktionspolitik seit 2006 im Prinzip komplett gescheitert ist und das Land unbeirrt mit seinen Atomtests fortfährt. Im Endeffekt wird es bei diesen Trump-Forderungen höchstwahrscheinlich auf eine Erhöhung des Beitrages der asiatischen Verbündeten zu den amerikanischen Hegemonialkosten in der Region hinauslaufen. Das Einfordern eines größeren burden sharings ist dabei keineswegs neu, sondern war eine Grundkonstante während des Kalten Krieges.

Gerade Japan wurde nach dem Ende des Systems fester Wechselkurse Anfang der 1970er Jahre durch die Abwertung des US-Dollars gegenüber dem Yen wiederholt zur Finanzierung des US-Leistungsbilanzdefizites und damit zur Beteiligung an den Kosten des Rüstungswettlaufes mit der Sowjetunion herangezogen. Eine Politik, die mit dem New Yorker Plaza-Abkommen vom September 1985 ihren Höhepunkt fand und für die D-Mark in ähnlicher Weise galt. Freilich haben die USA auch die Leistungsfähigkeit der Partner zu berücksichtigen. Südkorea etwa befindet sich aktuell auf dem Weg in eine politische und wirtschaftliche Doppelkrise, welche die strukturellen Defizite des südkoreanischen Markt/Staats-Verhältnisses offenlegt. Nachdem der Super-Konzern Samsung erst eine Weltjahresproduktion von Galaxy-Note-7-Smartphones und dann drei Millionen Waschmaschinen vom US-Markt zurückrufen musste, wurde nun bekannt, dass Samsung wohl Millionenbeträge an eine dubiose „Beraterin“ von Präsidentin Park gezahlt hat.

Südostasien im Fadenkreuz
Auch eine Abwendung der USA von Südostasien als geostrategischem Verbindungsstück zwischen Indischem und Pazifischem Ozean und als Durchgangsgebiet eminent wichtiger Seehandelsrouten ist reichlich unplausibel. Denn hier findet momentan die Hauptauseinandersetzung um die Sicherung von Einflusszonen in Asien-Pazifik für die nächsten Jahrzehnte statt, weshalb alle relevanten Akteure versuchen, dort ihre Präsenz zu erhöhen. Dabei geht es um die Gewinnung von Märkten, Verbündeten und militärischen Schlüsselpositionen. Es wäre ein Versäumnis von geradezu historischem Ausmaß, würden die USA ihre zumeist guten Beziehungen zu den ASEAN-Ländern vernachlässigen. Nicht ohne Grund hatte Präsident Obama in 2012 die „U.S.-ASEAN Expanded Economic Engagement (E3) Initiative“ ins Leben gerufen und die ASEAN Staats- und Regierungschefs im Februar 2016 prominent nach Sunnylands, Kalifornien, eingeladen.

Dass bspw. aus Thailand und Malaysia derzeit sehr kritische Töne über den Zustand der Demokratie in den USA kommen, hat mehr mit innenpolitischen Problemen in diesen Ländern – Militärregierung hier, Megakorruptionsskandal des Premiers dort – als mit einer wirklich nachlassenden Attraktivität des US-Modells zu tun. Insgesamt aber dürfte die Trump-Präsidentschaft zu einer tendenziellen Schwächung der demokratischen Kräfte in vielen Staaten des Asien-Pazifik-Raumes beitragen. Der abrupte Wechsel des philippinischen Präsidenten Rodrigo Duterte auf die Seite Chinas und die verkündete „Trennung“ vom Langzeitverbündeten USA wird schon als Ausdruck einer veränderten Kräftebalance in der Region interpretiert. Hierbei scheint es sich indes um kaum mehr als eine Momentaufnahme zu handeln. Faktisch liegt Dutertes Manöver keinerlei Strategie zugrunde – außer der vagen Hoffnung, China wird das philippinische Wohlverhalten mit Konzessionen im Inselstreit und durch Investitionen in die heimische Infrastruktur belohnen.

Während letzteres durchaus der Philosophie chinesischer Nachbarschaftspolitik entspricht, gibt es keinerlei Anzeichen, dass sich China auf ernsthafte Kompromisse bei den Territorialkonflikten im Südchinesischen Meer einlassen wird. So ist es wohl nur eine Frage der Zeit, bis der Vorwurf von Militär und Establishment, einen Ausverkauf der nationalen Interessen zu betreiben, die philippinische Führung zu einer Kehrtwende zwingen wird. Trotz einer verfestigten Unzufriedenheit über die oft als herablassend wahrgenommene Art, wie die USA die Philippinen behandeln, ist die amerikanische Kultur und Lebensart in der Bevölkerung sehr populär, sodass auch von dieser Seite Gegenwehr gegen eine einseitige Anbindung an China zu erwarten ist. Womöglich könnte mit einer eher defensiv orientierten Trump-Regierung, die nicht versucht, die Philippinen gegenüber China in Stellung zu bringen, eine Wiederannäherung erleichtert werden.

Selbst wenn die USA unter Trump eine zurückhaltendere Rolle in Südostasien anstreben sollten, wäre absehbar, dass die stark auf Einschüchterungen und Dominanz basierende chinesische Regionalpolitik diese Option vereiteln würde. Infolge fortgesetzter Druckausübung bestehen in quasi allen ASEAN-Staaten massive Ressentiments gegenüber China, welche die reibungslose Übernahme einer Führungsrolle als unrealistisch erscheinen lassen. Sollte es hier zu handfesten Eskalationen kommen, könnten sich die USA einer Parteinahme kaum entziehen. Einen Vorgeschmack auf künftige Konflikte könnten die unverhohlenen Drohungen Chinas gegenüber Singapur Anfang Oktober bezüglich der Haltung des Stadtstaates zum Südchinesischen Meer gegeben haben. Folgerichtig haben singapurische Offizielle die USA vor der Wahl eindringlich an ihre Zusagen und Verpflichtungen erinnert.

Des Weiteren besitzen die USA in die Region erhebliche wirtschaftliche Verbindungen, die mit dem Programm „U.S.-ASEAN Connect“ weiter intensiviert werden sollen. Die ASEAN-Staaten sind kumuliert der viertgrößte Handelspartner der USA, und US-Unternehmen gehören zu den größten Gebern von ausländischen Direktinvestitionen in der Region. Diese ökonomischen Assets wird Washington ganz sicher schützen wollen. Aus Sicht der ASEAN-Staaten schlägt positiv zu Buche, dass sie – im Gegensatz zu China – mit den USA einen (moderaten) Handelsüberschuss aufweisen. Da in den Wirtschaftsbeziehungen nach Südostasien noch viel Potenzial besteht, dürfte auch Trump hier anders als bei China zu Zugeständnissen bereit sein. Es wird generell so bleiben, dass die ASEAN-Staaten weiterhin versuchen werden, sich mit beiden Großmächten zu arrangieren und für sich im Idealfall maximale Unterstützung zu sichern, so wie es etwa Vietnam mustergültig vorführt. Die USA erfüllen dabei die Funktion als Letztversicherungsinstanz gegen chinesische Abenteuer.

Deals mit China?
Was den wirtschaftlichen Austausch mit China und die von Trump ins Spiel gebrachten Strafzölle anbelangt, so stehen – wie nun auch aus deutscher Sicht nicht mehr zu übersehen ist – die Zeichen ohnehin auf einer verstärkten Konfrontation. Es wird immer deutlicher, dass China eine neo-merkantilistische Strategie mit dem Ziel verfolgt, lukrative Teile des Welthandels an sich zu ziehen, internationale Standards vorzugeben und seine Firmen mit Staatshilfe zulasten anderer Unternehmen gezielt in regionalen und globalen Wertschöpfungsketten zu platzieren. Eine solche strategische Handels- und Auslandsinvestitionspolitik, wie sie Japan schon einmal zu Beginn der 1990er Jahre exemplarisch vorexerziert hat, wird auf Dauer von den anderen Akteuren nicht unbeantwortet bleiben. Auch die Bundesrepublik Deutschland wird auf diese Herausforderung eine adäquate Antwort finden müssen. Da China trotz aller Rhetorik (und teils auch erreichter Fortschritte) des Umbaus seiner Wirtschaft hin zu mehr Binnenkonsum und Dienstleistungen zur Gewährleistung der inneren Stabilität weiterhin auf Exporte und die Bereitschaft anderer Staaten, chinesische Waren anzunehmen, angewiesen sein wird, dürfte das Land hier durchaus zu Konzessionen bereit sein.

Hält man sich das sehr spezielle chinesisch-amerikanische Arrangement vor Augen, bei dem die Volksrepublik US-amerikanische Staatsanleihen kauft, damit die USA ihrerseits chinesische Waren erwerben können, wird die große strukturelle Abhängigkeit der beiden Mächte voneinander deutlich. Im Grunde handelt es sich hierbei um nichts anderes als um landläufige Lieferantenkredite. Sorgen vor einem großen Handelskrieg dürften vor diesem Hintergrund klar überzogen sein. Sieht man sich das Verhältnis noch etwas genauer an und registriert, dass die USA durch ein Anwerfen der Noten-
presse in der Lage wären, dem riesigen von China angehäuften Berg an Dollarreserven eine gigantische Wertvernichtung zuzufügen, ließe sich die These wagen, dass die USA sogar am etwas längeren Hebel sitzen.

Wie dem auch sei – nicht nur aus Sicht von Trump besteht hier jedenfalls Handlungsbedarf. Der MIT-Forscher David Autor hat auf empirischer Basis nachgewiesen, dass durch die chinesische Importkonkurrenz bis zu 2,5 Millionen US-Jobs verlorengegangen sind. Diese Tatsache hat beim Zustandekommen des Wahlergebnisses sicher keine unwesentliche Rolle gespielt. Die allgemeine Exportlastigkeit kann man den Chinesen nicht zum Vorwurf machen, genauso wie sie haben andere aufstrebende Mächte zuvor agiert.

Aber auch in der Vergangenheit wurden von den USA aufgrund von „unfairen Handelspraktiken“ entsprechende Maßnahmen gegen Billigimporte aus Ländern wie Taiwan, Südkorea und Hongkong ergriffen. Dies wird China sicherlich bewusst sein und die Bereitschaft erhöhen, Trump zumindest entgegenzukommen, auch wenn aus chinesischer Sicht eher eine mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der USA die Ursache für deren Handelsdefizite ist. Dabei könnten sich Trumps berühmt-berüchtigter Hang zum dealmaking und die Bewunderung, die ihm offenbar von größeren Teilen der chinesischen Öffentlichkeit zuteilwird, durchaus Konflikt mindernd wirken. Einen Zoll von 45 Prozent auf chinesische Waren, wie im Wahlkampf gefordert, wird es dabei sicher nicht geben. Andererseits dürften sich die Hoffnungen Chinas, dass sich nach einem US-Rückzug die Bewegungsspielräume im eigenen geopolitischen Vorfeld signifikant erhöhen werden, als Illusion erweisen. An der grundsätzlichen amerikanischen Position, mit China dort die Kooperation zu suchen, wo dies möglich ist, und China dort konsequent entgegenzutreten, wo fundamentale US-Interessen tangiert werden, wird sich im Prinzip auch unter der Trump-Administration nichts ändern.

Wie weiter mit dem Freihandel?
Eine generell spannende Frage wird sein, wie sich die Wahrnehmung von Freihandel und der entsprechenden Abkommen weiter entwickeln wird. Auch hier hat David Autor hochinteressantes Zahlenmaterial vorgelegt, das nahegelegt, dass es für jedes Land so etwas wie ein optimales Maß der Grenzöffnung gibt. Die simple Gegenüberstellung von Freihandel vs. Protektionismus dürfte künftig deutlich differenzierter betrachtet und das Für und Wider einzelner Abkommen von einer kritischen Öffentlichkeit im Detail gegeneinander abgewogen werden. Die Regierungen sind hier gefordert, einerseits die konkreten wohlstandsfördernden Effekte des Freihandels glaubwürdig herauszustellen und andererseits das Bedürfnis nach nationalen Entscheidungsspielräumen zu respektieren. Dann ließen sich die Abkommen nicht mehr so leicht im Wahlkampf missbrauchen. Da Freihandelsabkommen in Asien mehrheitlich immer noch als Chance begriffen werden, werden Europa und die USA entscheiden müssen, ob sie es sich leisten können, hier womöglich den Anschluss zu verlieren. Ob das Transpazifische Partnerschaftsabkommen (TPP) noch eine Lebenschance hat, ist im Moment in der Tat völlig unklar.

Die Teilnehmer dieser Partnerschaft würden für 40 Prozent der Weltwirtschaft stehen. Dafür, dass ein (zugunsten der USA abgeändertes) Abkommen noch in Kraft tritt, könnte sprechen, dass es aus US-Sicht zur Erreichung eines umfassenderen Zieles konzipiert wurde, nämlich langfristig die eigenen Interessen gegenüber den aufstrebenden Schwellenländern mit China an der Spitze zu sichern. Eine finale Ablehnung würde umso mehr ins Gewicht fallen, als China mit seiner Strategie der ländlichen und maritimen Seidenstraßen („One Belt, One Road“) eine sehr schlagkräftige Gegenoffensive gestartet hat. Es handelt sich hierbei um ein interkontinentales Infrastrukturnetzwerk, das auf die Errichtung von chinazentrierten Wirtschaftskorridoren in Eurasien hinausläuft. Sollte diese Initiative erfolgreich sein und die Amerikaner tatsächlich kein Gegenprojekt auf den Weg bringen, hätte dies für eine künftige Weltordnung kaum zu überschätzende Konsequenzen. Insofern dürfte auch einer Trump-Administration an einem Abkommen gelegen sein. Die Partner in Asien-Pazifik wiederum dürften vor dem Hintergrund einer solchen Perspektive der chinesischen Dauerdominanz sich etwaigen TPP-Nachverhandlungen ebenfalls nicht verschließen.