Interview mit Prof. Dr. Rüdiger Frank: „Ich sehe nicht, wieso Nordkorea seine Atomwaffen jemals aufgeben sollte“

Mit 2018 ging ein sehr ereignisreiches Jahr in Ostasien zu Ende. Neben Treff‘en mit den Nachbarn China und Südkorea kam es zur ersten Zusammenkunft zwischen Nordkorea und den USA in Singapur. Was Nordkorea zur Verhandlungsbereitschaft bewegte, ob dieses Momentum auch 2019 aufrechterhalten werden kann und ob eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel realistisch ist, beantwortet Nordkoreaexperte Prof. Dr. Rüdiger Frank im Interview mit dem OAV.


Herr Professor Frank, im Mai 2018 fand Ihre letzte Reise nach Nordkorea statt. Wie haben sich die verschärften UN-Sanktionen auf das Leben der Bevölkerung ausgewirkt? Konnten Sie während Ihrer Reise sichtbare Veränderungen feststellen? Kam es zu Lebensmittelknappheiten oder dergleichen?

Hierzu muss man zunächst einschränkend sagen, dass man als westlicher Beobachter natürlich nicht alles mitbekommt. Die Behörden bemühen sich sehr, Ausländern nur die beste Seite ihres Landes zu zeigen. Allerdings entwickelt man als regelmäßiger Besucher im Laufe der Jahre ein Gefühl für die Situation und bemerkt Veränderungen durchaus – vor allem dann, wenn man immer wieder die gleichen Orte aufsucht. Man achtet auf Stromausfälle, die Zahl der auf den Straßen zu sehenden Fahrzeuge, ob Rauch aus Schornsteinen kommt, wie der Markt-Wechselkurs der einheimischen Währung ist, ob die Preise stabil und die Geschäfte voll sind oder was und wie am Straßenrand verkauft wird. Auf Basis dieser Faktoren konnte ich im Mai 2018 keinerlei dramatische Veränderungen feststellen. Die Menschen leiden sehr wohl unter den Sanktionen und beklagen sich auch darüber, aber das ist schon seit Jahren so. Ich habe sogar hier und da positive Entwicklungen vermerkt, etwa eine steigende Zahl von neugebauten Tankstellen und Raststätten an den in Richtung China führenden Straßen. Das passt zum sichtbar zunehmenden Personen- und Warenverkehr per Kleinbus oder Lieferwagen. Dies ist ein Indikator für die wachsende wirtschaftliche Rolle des Mittelstandes.

Glauben Sie, dass die jetzige Verhandlungsbereitschaft Nordkoreas das Ergebnis der Sanktionen ist?

Nein, jedenfalls nicht auf die direkte Art, wie das in einigen westlichen Kommentaren dargestellt wurde. Es ist eher so, dass man sich in Nordkorea seit dem erfolgreichen Interkontinentalraketentest vom November 2017 als Atommacht in einer Position der Stärke sieht. Außerdem sieht man mit Trump im Weißen Haus, Moon im Blauen Haus und dem zunehmenden Selbstbewusstsein Chinas gegenüber den USA gute Chancen, eigene Interessen durchsetzen zu können. Daher kommt die Verhandlungsbereitschaft; sie ist definitiv nicht aus der Not geboren, sondern die Folge davon, dass sich Nordkorea in einer günstigen strategischen Situation sieht.

Wie wurden der Kim-Trump-Gipfel in Singapur sowie die letzten beiden Treffen mit Südkoreas Präsident Moon Jae-in in Nordkorea dargestellt? Wurden die Resultate der Treffen innerhalb des Landes kommuniziert oder wurden der nordkoreanischen Bevölkerung andere beziehungsweise gar keine Informationen zugespielt?

Es gab eine ausführliche und recht zeitnahe Berichterstattung, wobei das Ganze natürlich als großer Sieg der eigenen Führung verkauft wurde. Interessant fand ich vor allem ein etwa 45-minütiges Video, in dem ausdrücklich erwähnt wurde, dass Kim Jong-un „mit einem chinesischen Flugzeug“ nach Singapur geflogen sei. Das ist für die sonst so auf Eigenständigkeit bedachten nationalstolzen Nordkoreaner sehr ungewöhnlich und deutet auf aktive Bemühungen hin, das Verhältnis zu Beijing zu verbessern. Man erholt sich einen Wettstreit der zwei Großen, China und USA, von dem man dann ebenso profitieren kann, wie das Nordkorea in den 1950ern eine Zeit lang beim Streit zwischen China und der Sowjetunion gelungen war.

„Vertrauen gegenüber China oder den USA existiert nicht.“

 

China und Russland beteiligen sich an den UN-Sanktionen nur teilweise. Deshalb bezeichnete Präsident Trump erst kürzlich Chinas Nordkorea politik als wenig hilfreich und beschuldigte Peking, die Bemühungen der USA in Nordkorea aufgrund des Handelskrieges zu untergraben. Denken Sie, dass der Nordkorea-Konflikt von den Großmächten instrumentalisiert wird?

Korea hat eine lange Erfahrung damit, von Nachbarländern und Großmächten instrumentalisiert zu werden. In Pjöngjang ist man diesbezüglich sehr sensibel und gibt sich keinen Illusionen hin: Vertrauen gegenüber China oder den USA existiert nicht. Daher beobachten wir in beiden Koreas sehr deutliche Bemühungen, das Heft selbst in die Hand zu nehmen und aktiv zu werden, anstatt auf die Handlungen der Großmächte zu reagieren. Das wird aufgrund der nun einmal bestehenden Machtverhältnisse immer schwierig bleiben, weshalb ich oft den Versuch zu erkennen glaube, die Großmächte im eigenen Sinne zu manipulieren. 2018 war aus dieser Perspektive ein gutes Jahr für Korea.

Südkoreas Präsident Moon gilt als treibende Kraft und Vermittler in den Verhandlungen zwischen Nordkorea und den USA. Auch Präsident Trump ist anders als seine Vorgänger gewillt, mit Nordkorea zu sprechen. Glauben Sie, dass dieses Momentum aufrechterhalten werden kann, sollte es zu einem Wechsel an der Regierungsspitze kommen?

In Südkorea formieren sich politische Kräfte, die jedwede Verhandlungen mit Nordkorea als Schwäche und Naivität ansehen. Sollten sie die Macht übernehmen, dann wäre die bisher sehr aktive Rolle Südkoreas bei der Annäherung schlagartig beendet. Würde Trump allein weitermachen? Auf jeden Fall, denn er scheint sich nicht sonderlich um die Meinung seiner Verbündeten zu scheren. Wird er weiter auf Kim Jong-un zugehen? Das kann wohl niemand so richtig sagen, da Trump eher impulsiv zu agieren scheint, was ihn schwer vorhersagbar macht. Eine interessante Variante für die Zukunft wäre der Fortbestand des Kooperationswillens in Südkorea und die Rückkehr der USA zur Konfrontation. In diesem Falle ist es nicht garantiert, dass sich Seoul dem Willen Washingtons beugen wird. China ist zunehmend gewillt, sich als Alternative zu den USA zu präsentieren und auch die Konsequenzen in Kauf zu nehmen. Korea könnte der erste Ort in der Weltpolitik sein, wo man sich in der Hoffnung auf chinesische Unterstützung bewusst für ein Ignorieren der Wünsche der USA entscheiden könnte. Wenn das funktioniert, dann würde die gesamte gegenwärtige Weltordnung erschüttert werden.

„Die Verhandlungsbereitschaft ist definitiv nicht aus der Not geboren, sondern eine Folge davon, dass sich Nordkorea in einer günstigen strategischen Situation sieht.“

 

Wie realistisch ist aus Ihrer Sicht eine Denuklearisierung der koreanischen Halbinsel?

Ich sehe nicht, wieso Nordkorea seine Atomwaffen jemals aufgeben sollte. Selbst nach einer Wiedervereinigung besteht eine große Wahrscheinlichkeit, dass die Waffen auf der Halbinsel verbleiben. Aber das Problem ist ja nicht die Existenz dieser Waffen, sondern die von ihnen ausgehende Gefahr – ob es nun um den Einsatz, die Weiterverbreitung oder die technische Sicherheit geht. All diese Dinge kann man sehr wohl in den Gri. bekommen, so wie das bei den USA, Russland, Indien, Pakistan, Frankreich und Großbritannien ja auch mehr oder weniger gelingt.

Gehen wir einen Schritt weiter in die Zukunft. Sollte es zu einer Aufhebung der Sanktionen und infolgedessen zu einer Öffnung Nordkoreas kommen, in welchen Branchen sehen Sie Chancen für deutsche Firmen und mit welchen Schwierigkeiten müsste man als ausländischer Investor in Nordkorea rechnen?

Nordkorea hat Bedarf an so gut wie allem. Das betrifft den Maschinenbau, die Verkehrs- und Kommunikationsinfrastruktur, den Bergbau. Erneuerbare Energien sind auch ein Thema, da man die Abhängigkeit von ausländischem Erdöl als strategisches Problem ansieht. Zu den Risiken für deutsche Unternehmen gehört neben der noch immer fehlenden Rechtssicherheit die Konkurrenz mit China, Südkorea und Japan, die alle den nordkoreanischen Markt besser kennen. All das legt nahe, es besser in Kooperation mit einem Partner aus diesen Ländern zu versuchen, anstatt im Alleingang.


Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Frank

Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Frank ist Professor für Wirtschaft und Gesellschaft Ostasiens an der Universität Wien und leitet dort das Institut für Ostasienwissenschaften.