Belt & Road – Die vergessene Dimension des Wettstreits um die Führungsrolle in der Weltwirtschaft

Chinas „Belt and Road Initiative“ (BRI) soll nicht nur für neue Transportkorridore zwischen dem Reich der Mitte und Europa sorgen, sondern auch einen neuen Wirtschaftsraum für die internationale Arbeitsteilung erschließen. Die Ho‘ffnung im Land ist groß, dass über das Medium der BRI der globalen Wirtschaftsordnung eine stärkere chinesische Prägung gegeben werden kann.


In China ist das Unmögliche geschehen. Innerhalb von lediglich vier Jahrzehnten hat sich das Land von einem stark unterentwickelten, technologisch weit abgehängten und international isolierten Nebenschauplatz der Weltwirtschaft zu einem ihrer zentralen Akteure gewandelt. Laut IMF wird China in wenigen Jahren die USA als größte Volkswirtschaft der Erde ein und überholt haben. Und auch in technischer Sicht spielt China mittlerweile an der vordersten Front der Entwicklung von Zukunftstechnologien mit, sei dies Elektromobilität, Gentechnologie oder Künstliche Intelligenz. Heute ist China der potenzialträchtigste Herausforderer der USA um die Führungsrolle in der Weltwirtschaft und um die ordnungspolitische Deutungshoheit.

Vier Mechanismen der „Sinisierung“
Der Wettstreit ist längst entbrannt und der von der Trump-Administration entfachte Handelskrieg lediglich ein Schauplatz, auf dem die USA versuchen, ihren Konkurrenten zurückzudrängen. Von sehr viel größerer Bedeutung für die Einnahmen einer globalen Vormachtstellung könnte aber die „Belt and Road Initiative (BRI)“ werden. Mit der BRI will China nicht nur neue Transportkorridore zwischen China und Europa errichten, sondern auch einen neuen Wirtschaftsraum für die internationale Arbeitsteilung erschließen. Die Förderung der ökonomischen Entwicklung und des Wachstums in der BRI-Region stellt ein Instrument hierfür dar und soll mit substanziellen Mitteln angestoßen werden. Das geschieht nicht ohne Eigennutz. In China sind die Erwartungen hoch, dass im Zuge der Implementierung der BRI-Strategie die einheimische Industrie durch Exporte, Bauaufträge etc. in signifikantem Maße profitieren wird. Von erheblich größerer strategischer Bedeutung ist aber die Hoffnung, dass über das Medium der BRI der globalen Wirtschaftsordnung eine stärkere chinesische Prägung gegeben werden kann. Hieraus würden chinesischen Unternehmen langfristige Wettbewerbsvorteile erwachsen und der nationalen Interessendurchsetzung insgesamt neue Spielräume eröffnet werden. Eine derartige „Sinisierung“ der Weltwirtschaftsordnung kann grundsätzlich über vier verschiedene Mechanismen (Kooperation, Konfrontation, Evolution, Führerschaft) vorangetrieben werden. Chinas Partei- und Regierungsführung ist auf allen diesen Ebenen aktiv, mit bislang unterschiedlichem Erfolg.

Der kooperative Zugang zielt darauf ab, aus dem bestehenden System heraus allmähliche Modifikationen durchzusetzen, die stärker chinesische Belange widerspiegeln. Derartige Vorstöße hat China bislang in sehr begrenztem Umfang im Rahmen seiner Mitgliedschaft in der G20, der WTO, der Weltbank, dem IMF etc. unternommen. Im Rahmen der BRI ist nun mit der AIIB eine spezielle Finanzinstitution geschaffen worden, die BRI-Projekte verwalten soll. Der im Westen vermehrt vorgebrachte Vorwurf, dass China hiermit „sein“ Gegenmodell zur Weltbank geschaffen habe und nun im BRI-Kontext nach Gutdünken walte, hält einer näheren Untersuchung allerdings nicht stand. Die AIIB agiert im Rahmen des gleichen Kodex, der auch die Aktivitäten der Weltbank, ADB etc. regelt. Eine signifikante „Sinisierung“ der internationalen Ordnung erfolgt über diesen Mechanismus – bislang – nicht.

Brüssel beharrte auf Einhaltung des WTO-Protokolls
Ein o.en konfrontatives Vorgehen, bei dem ein chinesischer Ordnungsentwurf einem etablierten internationalen Arrangement entgegengestellt wird, konnte u.a. in der Auseinandersetzung zwischen China und der EU über die Auftragsvergabe für das Belgrad-Budapest-Bahnprojekt beobachtet werden. Während sich die EU dem WTO-Abkommen zum Öffentlichen Bescha.ungswesen (WTO Agreement on Government Procurement (GPA)) verpflichtet sieht, hat die VR China dieses Protokoll weder bei ihrem Beitritt zur WTO noch zu einem späteren Zeitpunkt unterzeichnet. Während Peking eine freihändige Vergabe der Bauaufträge umsetzen wollte, beharrte Brüssel auf der Einhaltung des WTO-Protokolls, zumindest auf dem Territorium des EU-Mitgliedslandes Ungarn. Trotz intensiver diplomatischer Bemühungen konnte sich China letztlich nicht durchsetzen und musste sich den WTO-Regelungen unterwerfen. Dieser konfrontative Ansatz war somit nicht nur nicht erfolgreich, sondern ging auch mit erheblichen Kollateralschäden für die chinesische Europa-Diplomatie einher. Es ist daher davon auszugehen, dass ein derartiger konfrontativer Ansatz in Zukunft eine eher untergeordnete Rolle bei der Propagierung chinesischer Ordnungsvorstellungen spielen wird.

Mikrokosmen mit hoher Strahlkraft
Als sehr viel tragfähiger hat sich demgegenüber der evolutorische Ansatz erwiesen. Dieser basiert auf der wachsenden absoluten wie relativen Bedeutung Chinas für BRI-Partnerländer, die dazu beiträgt, dass chinesische Geschäftspraktiken und Usancen Verbreitung finden und zu lokalen Normen aufsteigen. Manifest wird dies z.B. über die rasch wachsende Rolle Chinas als Beschaffungs- und Exportmarkt, die hohe Zahl chinesisch gesteuerter Infrastrukturprojekte, chinesische Direktinvestitionen im Industrie- und Dienstleistungssektor etc. Eine wichtige Rolle spielen auch die mittlerweile über 80 chinesisch geführten Industriezonen, die chinesische „Mikrokosmen“ mit hoher Strahlkraft in die Gast-Volkswirtschaften darstellen. Sobald die Intensität des wirtschaftlichen Austauschs mit China einen bestimmten Schwellenwert überschreitet, wird zudem die Nutzung des Renminbi als Fakturierungs- und Reservewährung für die BRI-Staaten zu einer sinnvollen Alternative zu bestehenden Währungsarrangements. Dies stärkt dann nicht nur die Rolle des Renminbi in der internationalen Währungsordnung, sondern stattet auch chinesische Unternehmen mit weiteren Vorteilen bei Ihren Aktivitäten in den BRI-Staaten aus und befreit sie von Wechselkursrisiken. Der mittelfristig bedeutendste Beitrag für eine „Sinisierung“ internationaler Wirtschaftsbeziehungen dürfte allerdings über Führerschaft realisiert werden. In Bereichen, an denen chinesische Unternehmen bereits heute an der Spitze der globalen Technologieentwicklung stehen, können diese nach eigenem Ermessen technische Standards, regulatorische Normen und operative Praktiken festlegen. Dies versetzt sie in die Lage, in diesen Feldern Institutionen und Verhaltensregeln zu gestalten und somit Pfadabhängigkeiten zu ihren Gunsten zu etablieren. Erste Beispiele für ein derartiges Vorgehen können bereits im Bereich der Telekommunikation (5G u.a.) und Mobilfunk-basierten Geschäftsmodellen (mobiler Handel, mobile Zahlungsdienste etc.) beobachtet werden. Im Bereich der kommerziellen Nutzung selbstlernender Maschinen (Künstliche Intelligenz) zeichnen sich ähnliche Strukturen bereits ab.

Ursprüngliche Idee vom „Wandel durch Handel“ ist gescheitert
Im Überblick scheint es also so, dass wir uns darauf einstellen können, dass im Zuge der Umsetzung der Belt and Road Initiative die Weltwirtschaft und ihre Ordnung noch mehr „chinesisch“ werden. Dabei wird dieser Prozess weniger durch aggressive politische Vorstöße vorangetrieben werden, sondern durch ein Transaktionskostenkalkül: Mit zunehmender Bedeutung chinesischer Unternehmen, Geschäftsmodelle und Technologien kippt das Kosten/Nutzen-Kalkül in Richtung Chinas und wird es sinnvoll, stärker chinesisch geprägte Institutionen zur Koordination des Austauschs zu nutzen. Hiermit wird deutlich, wie grandios die hehre Vorstellung vom „Wandel durch Handel“ doch letztlich gescheitert ist. Die Idee war ja, dass das chinesische Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich im Zuge immer intensiverer Wirtschaftsbeziehungen mit Deutschland und der westlichen Welt immer stärker den westlichen Vorbildern anpassen würde. Ein derartiger Konvergenzprozess hat insbesondere (oder fast ausschließlich) in Hinblick auf die Wirtschaftsordnung auch tatsächlich stattgefunden. Aber nur bis zu einem bestimmten Punkt. Dann waren die chinesische Volkswirtschaft zu groß und ihre Unternehmen zu leistungsstark geworden, um sich noch weiter anpassen zu wollen. Heute propagiert die chinesische Parteiführung ihr eigenes Modell eines Staatskapitalismus und kann mit Recht hoffen, dass dieses insbesondere in den Entwicklungsstaaten der BRI-Region Nachahmer finden wird. „Wandel durch Handel“, aber diesmal unter chinesischen Vorzeichen.


Prof. Dr. Markus Taube

Prof. Dr. Markus Taube ist Inhaber des Lehrstuhls für Ostasienwirtschaft/China an der Mercator School of Management und Direktor der IN-EAST School of Advanced Studies an der Universität Duisburg-Essen. Er ist Gründungspartner von THINK!DESK China Research & Consulting und amtierender Präsident der Euro-Asia Management Studies Association (EAMSA).