„Von Einlenken keine Spur“


Präsident Trump fordert beharrlich eine atomwaffenfreie koreanische Halbinsel. Aber ist es faktisch nicht so, dass Kim Jong-un sein Land längst endgültig zur Atommacht gemacht hat? Was würde dies für die mittelfristige Sicherheitslage in der Region bedeuten?

Matthias Naß: Nordkorea ist heute tatsächlich faktisch die neunte Atommacht – nach den USA, Russland, China, Frankreich, Großbritannien, Indien, Pakistan und Israel. Für dieses Jahr hat Machthaber Kim Jong-un die „Massenproduktion“ von nuklearen Sprengköpfen und ballistischen Raketen angekündigt. Von Einlenken also keine Spur. Damit wächst nicht nur die Gefahr einer Konfrontation mit den Vereinigten Staaten, deren Regierung bis heute betont, es nicht hinnehmen zu wollen, dass nordkoreanische Atomraketen amerikanische Städte bedrohen. Es wächst auch die Gefahr eines Zusammenstoßes zwischen den USA und China. Aber auch wenn ein Krieg verhindert werden kann, so droht doch die weitere Verbreitung von Atomwaffen in Ostasien, etwa in Südkorea.

Sie schildern schwerste Menschenrechtsbrüche in Nordkorea. Es heißt aber auch, dass das wirtschaftliche Tief überwunden ist, Kleinmärkte florieren und in Pjöngjang sogar Mittelschichten existieren. Wie plausibel sind weitere Wirtschaftsreformen?

Matthias Naß: Trotz der Wirtschaftssanktionen ist die Wirtschaft Nordkoreas in den vergangenen Jahren gewachsen, Schätzungen zufolge um bis zu drei Prozent pro Jahr. Der privaten Initiative wird heute mehr Raum gegeben, die Nordkoreaner kaufen heute einen Großteil ihrer Lebensmittel und Güter des täglichen Bedarfs auf freien Märkten. Kim Jong-un hatte nach seiner Machtübernahme angekündigt, zwei Ziele gleichzeitig zu verfolgen: Die Modernisierung der Wirtschaft und den Aufstieg Nordkoreas zur Atommacht. Beides wird sich nicht miteinander vereinbaren lassen. Die vom UN-Sicherheitsrat beschlossenen und jetzt auch von China weithin eingehaltenen Sanktionen schnüren Nordkorea immer mehr die Luft ab, sie kommen inzwischen einer wirtschaftlichen Blockade des Landes nahe. Das hält Nordkorea auf Dauer nicht durch. Mit seiner aggressiven Nuklearpolitik führt Kim das Land in den wirtschaftlichen Bankrott.

Der „Sonnenscheinpolitik“ genannte Annäherungskurs um die Jahrtausendwende ist damals gescheitert. Zuletzt gab es anlässlich der Olympischen Spiele wieder Lockerungsübungen zwischen Nord und Süd. Halten Sie eine echte innerkoreanische Entspannung für möglich?

Matthias Naß: Nach dem Ende der Olympischen Winterspiele und der Paralympics werden die Spannungen wieder zunehmen. Die amerikanischen und südkoreanischen Streitkräfte werden dann ihre verschobenen Großmanöver nachholen, in denen Nordkorea nichts anderes sieht als den Probelauf einer Invasion. Südkoreas Präsident Moon Jae-in will zwar den Dialog mit dem Norden, aber er wird auf keinen Fall das Bündnis mit den Vereinigten Staaten aufs Spiel setzen und Pjöngjang zu weit entgegenkommen. Auch Südkorea fordert eine Aufgabe des nordkoreanischen Atomprogramms. Dieses bleibt aber für den Norden die Garantie seines politischen Überlebens – ein Widerspruch, der sich nicht auflösen lässt. Deshalb erwarte ich, dass die Entspannung rund um die Olympischen Spiele nur von kurzer Dauer sein wird.


Matthias Naß

Matthias Naß ist Asienexperte und Internationaler Korrespondent bei der „ZEIT“.