Drei Gründe, warum die Zukunft deutscher Health-Care Unternehmen in China liegt

Im Bereich der Aus- und Fortbildung von medizinischen Fachkräften besteht großer Aufholbedarf auf chinesischer Seite – und somit eine große Chance für eine deutsch-chinesische Zusammenarbeit.


Betritt man das Pekinger Krankenhaus „General Hospital of the People’s Liberation Army“, so wird man nicht von Krankenhauspersonal, sondern von Robotern des Herstellers Xiaomi begrüßt. Wohnt man in einer ländlicheren Region Chinas oder benötigt man zu später Stunde einen Arzt, so lassen sich über Apps oder Internet-Krankenhäuser digitale Sprechstunden abhalten, in denen erste Diagnosen und elektronische Rezepte erstellt werden können. Nach einer Diagnose – sei es via Telemedizin oder im Krankenhaus – erhält man über Social Media Feeds nicht nur individualisierte Werbung für passende Nahrungsergänzungsmittel oder Versicherungsangebote, sondern auch gesundheitsrelevante Fitness- und Ernährungstipps. Letztere Dienstleistungen werden durch das Health Tech Unicorn WeDoctor möglich. Das Start-up wurde im Jahr 2010 von KI-Experte Jerry Liao in Xiaoshang, Zhejiang, gegründet und 2018 bereits mit 5,5 Milliarden US-Dollar bewertet. Das Unternehmen, an welchem u.a. auch Tencent beteiligt ist, hat sich zum Ziel gesetzt, Staat, Krankenhäuser, Ärzte, Pharma-Unternehmen und Finanzinstitute zusammenzubringen, um der chinesischen Bevölkerung eine innovative und holistische Gesundheitsversorgung anzubieten.

Die aufgeführten Beispiele verdeutlichen: neben den traditionellen Akteuren des Gesundheitsmarktes wie Versicherern, Medizintechnikunternehmen oder Krankenhäusern beeinflussen in China zunehmend Start-ups und Digitalfirmen wie Alibaba und Tencent die Gesundheitsversorgung. Ein weiteres Beispiel: Online-Plattformen wie JD.com können aufgrund des bestehenden umfassenden Logistiknetzwerkes Medikamente schneller und mit größerer Reichweite vertreiben als über traditionelle Apotheken und somit eine schnellere Medikamentendistribution ermöglichen. Das digitale Gesundheitsangebot sowie der Einsatz von Robotik und künstlicher Intelligenz in der Patientenbetreuung sind in China bereits weiter verbreitetet als in Europa oder den USA. Diese zunehmende Digitalisierung des chinesischen Gesundheitsmarktes und die Offenheit der fast 1,4 Milliarden starken chinesischen Bevölkerung gegenüber E-Health-Lösungen mit Datenverarbeitung stellt auch für deutsche Unternehmen eine Chance in dem sich schnell weiterentwickelnden Markt dar.

Schaut man sich die Entwicklung des chinesischen Gesundheitsmarktes der letzten Jahre an, so unterstreichen dies sowohl die Dynamik als auch das weitere Wachstumspotential: Laut Angaben der Weltbank erreichte die chinesische Bevölkerung 2016 bei Geburt eine durchschnittliche Lebenserwartung von 76,2 Jahren, im Jahr 1960 lag diese noch bei 43,7 Jahren. Während im Jahr 2005 nur 50 Prozent der Bevölkerung krankversichert war, waren es 2016 bereits 95 Prozent. Mit dieser rasanten Aufholjagd in der Gesundheitsversorgung geht auch ein Wachstum des Gesundheitsmarktes im zweistelligen Bereich einher, laut nationaler Angaben wird bis 2020 der chinesische Gesundheitsmarkt bis 2020 insgesamt 1.200 Milliarden US-Dollar groß sein.

Diese rasante Entwicklung wird durch diverse Regierungsprogramme vorangetrieben, so gab die chinesische Regierung 124 Milliarden US-Dollar für die 2009 festgesetzten Programme „Ausweitung des Versicherungsschutzes“, „Etablierung einer nationalen Medikamentenliste“, „Verbesserung der primären Versorgung“, „Förderung vom gleichen Zugang zur Versorgung sowie Pilotierung der Reformprogramme für öffentliche Krankenhäuser“ aus. Die Zahlen sprechen für den Erfolg dieser Programme: Gemäß nationaler Statistik haben sich die Gesamtausgaben Chinas für die Gesundheitsversorgung im Zeitraum zwischen 2007 und 2017 mehr als vervierfacht (2007: 172,3 Milliarden USD, 2017: 782,9 Milliarden US-Dollar). Dabei erhöhte sich der staatliche Anteil der Ausgaben von 22 Prozent auf 42 Prozent. Obwohl dies dazu führte, dass die privaten Ausgaben für die Gesundheitsversorgung sich von 44 Prozent (2017) auf 29 Prozent verringerten, können sich viele Patienten noch keine umfassende Gesundheitsversorgung leisten. Der Leistungsumfang der Krankenversicherung ist noch defizitär. Für eine Vielzahl von Medikamenten, wie beispielsweise den Krebsmedikamenten, müssen die Kosten noch von den Patienten selbst getragen werden.

Da gemäß der Weltgesundheitsorganisation 89 Prozent der Todesfälle in China auf nichtübertragbare Krankheiten wie Krebs, Diabetes und Fettleibigkeit zurückzuführen sind, stellt dies eine horrende Herausforderung für die chinesische Bevölkerung dar. Um diese Probleme zu bekämpfen und die Gesundheitsversorgung in China weiter voranzutreiben, hat Präsident Xi Jinping im Oktober 2015 die Strategie „Healthy China 2030“ ins Leben gerufen. Die Strategie sieht vor, bis 2030 die nationale Gesundheitsversorgung zu verbessern, große Risikofaktoren für die Gesundheit zu kontrollieren, die Kapazität der Gesundheitsleistungen zu erweitern und die Reichweite der Gesundheitsindustrie zu vergrößern sowie das Gesundheitssystem im Allgemeinen zu novellieren. Im März 2018 wurde die „National Health Commission“ als eine wichtige Institution für die Umsetzung der Healthy China 2030 Strategie gegründet. Konkrete Maßnahmen, die von der Kommission vorangetrieben werden, sind die Förderung der Innovationskraft chinesischer Unternehmen, Ausbau eines mehrstufigen, integrierten Versorgungssystems, Reform des Krankenhausmanagements, Standardisierung der Abrechnungsverfahren, Beschleunigung der Zulassungsprozesse, Stärkung von Qualitätsmanagement sowie Überwachungssystemen, um nur einige Beispiele zu nennen. Die im Rahmen dieser Programme bereitgestellten Fördermittel steigern folglich die Attraktivität des Marktes für ausländische Unternehmen.

Obwohl China inzwischen nach Japan der zweitgrößte Pharmazieproduzent der Welt ist, sind die deutschen Exporte medizinischer Produkte im Jahr 2017 um 8 Prozent (GTAI 2018) gewachsen. Die hohe Nachfrage an ausländischen Präparaten hat den Staat dazu veranlasst, die Zölle für importierte Pharmazeutika seit 2018 gänzlich zu erlassen. Zudem können besonders innovative und für China wichtige Medizingeräte per Express-Zulassung registriert werden, diese dauert im Schnitt nur 8,5 Tage. Der Import von Geräten für bildgebende Diagnostik, vaskuläre Intervention, Rehabilitation und In-vitro Diagnostik sowie orthopädische Materialien sind nach wie vor sehr beliebt, da bisher noch keine konkurrenzfähigen Produkte auf dem chinesischen Markt erhältlich sind. Auch im Bereich der Aus- und Fortbildung von medizinischen Fachkräften besteht großer Aufholbedarf auf chinesischer Seite – und somit eine große Chance für eine deutsch-chinesische Zusammenarbeit. Mittels moderner Technologien und hochwertiger Bildungsprogramme werden qualifizierte Ärzte und Pflegekräfte in China dank deutscher Expertise und Erfahrung ausgebildet. Die Bundesregierung fördert derzeit bereits die Ausbildung von Fachkräften in der Altenpflege mit privaten und staatlichen Partnern in China im Rahmen des „Sino-German-Eldercare-Project“. Mit der Aufwertung des Bereichs Digitalisierung im Bundesgesundheitsministerium ist auch die engere Zusammenarbeit mit China einen Schritt nähergekommen. So könnte Deutschland im Zuge der baldigen flächendeckenden Einführung von Gesundheitsakten und -karten von China lernen, wie man das kollektive Interesse eines Landes mit digitalen Technologien umsetzt. Diese Punkte verdeutlichen: die Expertisen der chinesischen und deutschen Akteure im Gesundheitsmarkt sind komplementär. Gleichzeitig stehen das chinesische und das deutsche Gesundheitswesen vor ähnlichen Herausforderungen, wie die Behandlung von chronischen Krankheiten wie Krebs und Diabetes oder dem demographischen Wandel mit einer alternden Gesellschaft. Bündelt und kombiniert man die Expertisen aus Deutschland und China, so könnten für diese Herausforderungen adäquate Lösungen schnell gefunden werden.


Chenchao Liu

Inhaber des Unternehmens Silreal