Krisenprimus Ostasien – Blick auf die Corona-Folgen

Ein Resultat der epochalen Corona-Pandemie wird absehbar der noch schnellere Aufstieg Asiens zum weltwirtschaftlichen Gravitationszentrum sein. Auch dort haben sich einige Staaten besser geschlagen als andere. Was ist die Ursache für deren größere Resistenz und welche dauerhaften Konsequenzen der Krise sind wahrscheinlich – vor allem für die allseits antizipierte Weltmachtrolle Chinas und das Verhältnis zu den USA?


Die bisherige Corona-Bilanz des Westens fällt im Vergleich zu einer Reihe asiatischer Staaten wenig vorteilhaft aus. Die Reaktionen kamen zu spät, waren nicht zielgenau und zum Teil kontraproduktiv. Es ist zu befürchten, dass die jahrelangen Krisennachwehen Amerikaner und Europäer noch viel Kraft und Energie kosten werden. Dabei besteht zusätzlich das Risiko, dass die massiven Staatsinterventionen zu Lasten der marktwirtschaftlichen Dynamik gehen. Zudem dürfte es zu Übertreibungen bei der Rückverlagerung von als existenziell erachteten Fertigungen kommen. Parallel wird sich derweil die Verlagerung der Wirtschaftsmacht in den Asien-Pazifik-Raum weiter fortsetzen. Auch wenn dort in diesem Jahr die erste ökonomische Kontraktion seit der Asienkrise 1998 droht, wird die Region auch 2020 wieder die wirtschaftlich erfolgreichste weltweit sein. Asien war die erste Region, die von der Pandemie getroffen wurde und wird auch der Weltteil sein, der sich – zumindest in Teilen – als Erstes wieder erholen wird. Das bislang beste Krisenmanagement war klar in Ostasien zu sehen. Der US-Politiktheoretiker Francis Fukuyama hält „Staatskapazität“ für die zentrale Erfolgsvariable sowohl bei der direkten Krisenreaktion als auch bei dem Vermögen, die Aufgaben der nächsten Jahre zu meistern.

Vorteil effizienter Staat

Er versteht darunter die Fähigkeit, effektiv staatliche Dienstleistungen im Gesundheitswesen oder in der Verwaltung zu mobilisieren und dabei einen nationalen Konsens herzustellen. Dies erklärt, warum Südkorea, Hongkong und Taiwan, die alle auf einen leistungsfähigen Staat mit einer kompetenten Bürokratie zurückgreifen können, die Krise bisher gut überstanden haben. Und hier liegt auch die Erklärung, warum Südasien dagegen ungünstig abschneidet. In der Mitte dieses Spektrums liegt Südostasien. Obwohl alle drei genannten Standorte stark vom Außenhandel abhängig sind, hält sich der je prognostizierte Rückgang der Wirtschaftsleistung von rund 2 % in Grenzen. In die Riege der langfristigen Erfolgsfälle gehört generell auch Singapur. Dem Stadtstaat war die erste Eindämmung ebenfalls gut gelungen, bevor die Fallzahlen in den Unterkünften von Gastarbeitern hochschnellten und einen umfassenden Lockdown nötig machten. Die Regierung dürfte die Missstände nun mit Hochdruck abstellen. Es zeigt sich, dass die Krise die Mängel einzelner Länder schonungslos offenlegt. Der Preis, den Singapur für sein Versäumnis zu zahlen hat: Es wird 2020 wohl den tiefsten Wirtschaftseinbruch in ganz Asien zu verkraften haben. Positiv stellt sich indes die Lage in Vietnam dar, dem seine konfuzianische Regelbindung genutzt und das beim Standortrennen neue Punkte gesammelt hat. Eher gemischt fällt die Bilanz für China aus, das auf Jahressicht beim Wachstum knapp auf der Plusseite bleiben dürfte. Abgesehen von den anfänglichen Vertuschungen wurden die unstrittigen Erfolge mit teils drakonischen Eingriffen bei den Freiheitsrechten erkauft. Offenbar müssen zu einem professionellen Vorgehen auch Transparenz und demokratische Rechenschaft hinzukommen. Am Beispiel USA wiederum zeigt sich, welche enormen Reibungsverluste ein fehlender nationaler Konsens verursachen kann.

China – geopolitischer Gewinner?

Nahezu diametral in der Krise gewandelt hat sich das Bild Chinas. Zuerst war infolge der drastischen Bilder aus Wuhan von einem „Tschernobyl-Moment“ die Rede, der das Potenzial hat, die KP-Herrschaft ins Wanken zu bringen. Nun soll im Zuge von gütiger „Masken-Diplomatie“ und offensiver „Rambo-Diplomatie“ die Ablösung der USA an der Weltspitze zugunsten Chinas erfolgen. Wahrscheinlicher ist jedoch eine weitere Wendung: Mit zeitlicher Distanz werden – auch bei Chinas Bevölkerung – die schweren Defizite des chinesischen Systems bei der primären Krisenreaktion wieder in den Blick rücken und den erzielten Renommee- Gewinn abbröckeln lassen. Bleiben dürfte, wie auch bei den USA, ein erheblicher Prestigeverlust. Zudem werden auf Peking bei der Bewältigung der Corona-Folgen hohe Kosten zukommen, welche die geopolitischen Ambitionen merklich zügeln dürften. Schon zuvor wurde in China, das weiter ein Schwellenland ist, z.B. herbe Kritik an den hohen Ausgaben für die Belt & Road Initiative (BRI) geäußert. Warum, so die legitime Frage, soll man die Lasten für ein – wirtschaftlich zweifelhaftes – globales Verkehrsnetz tragen? Die Führung wird derweil alles unternehmen, um einen ernsten Abschwung und damit die Gefahr von Kritik speziell bei den neuen Mittelschichten abzuwehren. Zu bedenken ist ferner, dass es in der Partei verschiedene Fraktionen gibt, die divergente Positionen bei der Frage einnehmen, inwieweit man sich im Ausland engagieren soll. Die binnenorientierten Gruppen werden darauf drängen, die Prioritäten künftig klar im Land zu setzen. In diesem Sinne lässt sich auch der Autonomieeinschnitt für Hongkong interpretieren. Dabei wird es sicher keinen Rückzug in den Isolationismus geben, dafür ist China viel zu sehr verflochten. Der Internationalisierungskurs dürfte aber an Schwung verlieren. Hier könnte sich eine Lücke für Japan öffnen, seinen Einfluss in Asien auszuweiten. Der China-Analyst Minxin Pei verweist darauf, dass die Corona-Krise die Schwächen der Ein-Mann-Herrschaft des Xi Jinping offen zu Tage gebracht hat, da sie unflexibel und fehleranfällig ist. Da sich der unfehlbare starke Mann an der Spitze kaum korrigieren kann, der Unmut in der Partei aber gestiegen ist, wird es Xi noch schwerer fallen, eine konsistente Politik zu verfolgen. Damit wird es für ihn auch schwieriger, seine ehrgeizigen Ziele zu erreichen. Eine exklusive Weltmachtrolle Chinas ist insgesamt schon allein deshalb unplausibel, weil es aufgrund der hohen Abhängigkeit von maritimen Transporten viel zu anfällig für Seeblockaden ist. Die Logik der Seidenstraße zu Lande („Belt“) besteht gerade darin, hier eine gewisse Alternative zu schaffen.

Folgen der Entkoppelung

Auch wenn die Aussichten der USA, an der Weltspitze zu bleiben – trotz zweitem american decline – so schlecht nicht sind, spricht alles dafür, dass sich das Post-Corona-Verhältnis zu China weiter eintrüben wird. Dies dürfte in abgeschwächter Form auch für die EU oder Australien gelten. Die Entkoppelung der 40 Jahre langen und stetig enger gewordenen Wirtschaftsbeziehungen wird fortschreiten und die US-Abhängigkeit von chinesischen Fabriken, Firmen und Investitionen zurückgedrängt werden. Die Frage ist nur, wie weit dieser Prozess gehen wird. Der Yale-Ökonom Stephen Roach betont, dass sich zwei nationalistisch gesinnte Gesellschaften gegenüberstehen. Diese ergehen sich in Anschuldigungen, sodass kaum mehr Raum für Kompromisse besteht. Roach empfiehlt, den aufziehenden Bruch zwischen beiden Ländern anzuerkennen und über die globalen Folgen nachzudenken: China wird wohl seinen größten Absatzmarkt wie auch den Zugang zu US-Technologien für seine Innovationsprojekte verlieren. Auf der anderen Seite werden die USA eine Quelle für günstige Importwaren einbüßen, auf die viele ärmere Verbraucher angewiesen sind. Für die USA wird ebenfalls ein wichtiger Absatzmarkt wegbrechen, der sich zum drittgrößten und am schnellsten wachsenden entwickelt hatte. Auch die Nachfrage aus China nach US-Schatztiteln zur Finanzierung des historisch hohen Staatsdefizites würde ausfallen. Am Beginn der Entfremdung stand für Roach Chinas „decade of rebalancing“ – die Verschiebung von Exporten und Investitionen zum Konsumwachstum, das Setzen auf Dienstleistungen und der Wandel von importierter zu eigener Innovation. Dieser Kurswechsel war für die von China abhängigen USA gleichermaßen Affront und ökonomisches Problem. Auch wenn das amerikanische Leistungsbilanzdefizit infolge der Corona-Schäden weiter anwachsen wird, ist Roach skeptisch, dass noch eine eigentlich im beidseitigen Interesse liegende Einigung gelingt. In politischer Hinsicht könnte das Zerwürfnis zu einem neuen kalten Krieg führen, von dem der Historiker Niall Ferguson annimmt, dass er vorwiegend im Cyberspace geführt würde. Deutschland sollte sich darauf einstellen, dass der Druck aus den USA noch weiter steigen wird, die Abgrenzungsstrategie mitzutragen. Selbst wenn man hier eine gewisse Gegenwehr leistet, dürften die Spielräume beträchtlich enger werden. Neue Optionen sind also gefragt – die Krise hat einige Hinweise auf interessante Partner geliefert.   


Daniel Müller

Daniel Müller ist Regionalmanager ASEAN beim OAV, mueller@oav.de