Die Regeln des E-Commerce in Südostasien beherrschen

Südostasien befindet sich an der Schwelle zu einem E-Commerce-Boom. Wer in dieser Region erfolgreich sein will, muss das sich schnell verändernde Verbraucherverhalten verstehen.


Südostasien ist der neue Schauplatz im E-Commerce. Im April 2016 gab Alibaba bekannt, eine Milliarde US Dollar für eine Mehrheitsbeteiligung an dem regionalen Onlinehändler Lazada zahlen zu wollen. Der chinesische E-Commerce-Riese JD.com ist inzwischen ebenfalls in Indonesien vertreten. Der Telekommunikationskonzern SoftBank aus Japan investierte gemeinsam mit Sequoia Capital und dem SB Pan-Asia Fund 100 Millionen US Dollar in Tokopedia, Indonesiens größten Onlinemarktplatz. Und die Liste wird immer länger. An keinem Ort der Welt wird die Digitalisierung schneller angenommen als in Südostasien. In keinem Land der Welt senden die Menschen mehr Textnachrichten als auf den Philippinen, Jakarta gilt weltweit als unangefochtene Hauptstadt der Tweets. Und das alles in einer Region, in der über 250 Millionen Menschen ein Smartphone nutzen.

Mit insgesamt mehr als 600 Millionen Einwohnern mag Südostasien viele Gesichter haben. Doch die Bewohner haben etwas Wichtiges gemeinsam: die Begeisterung für mobile Technologien. Der Onlinemarktplatz ist allerdings noch immer klein. Nur jeder vierte Verbraucher über 16 Jahre hat jemals etwas im Internet gekauft. Dies ergab eine Studie, die Bain & Company gemeinsam mit Google auf den Philippinen, in Indonesien, Malaysia, Singapur, Thailand und Vietnam durchgeführt und dafür mehr als 6.000 Verbraucher befragt hat. Der Onlinehandel in Südostasien erreicht eine Marktdurchdringung von drei Prozent. Dies entspricht Umsätzen in Höhe von gerade einmal sechs Milliarden US-Dollar. Zum Vergleich: China und die USA haben eine Durchdringung von 14 Prozent.

E-Commerce am Wendepunkt. Doch schon sehr bald wird dieser Markt an einem entscheidenden Wendepunkt stehen. Laut unserer Studie haben 100 Millionen Verbraucher in Südostasien bereits digital eingekauft. Weitaus mehr – 150 Millionen – haben den ersten Schritt getan und Produkte im Netz gesucht beziehungsweise Verkäufer über das Internet kontaktiert (Abb. 1). Ein weiteres wichtiges Signal: In einigen Branchen ziehen die Geschäfte in dieser Region allmählich deutlich an. So werden heute 24 Prozent aller Bekleidung und Schuhe sowie 18 Prozent aller Reisen online gekauft.

 

„In keinem Land der Welt senden die Menschen mehr Textnachrichten als auf den Philippinen, Jakarta gilt weltweit als unangefochtene Hauptstadt der Tweets.“

Auf seinem Weg hin zu einem florierenden E-Commerce-Markt steht Südostasien jedoch vor vielen Herausforderungen. Als Lazada in sechs verschiedenen Schwellenländern gleichzeitig expandierte und in dieser Phase knapp bei Kasse war, musste das Onlinewarenhaus lernen, wie schwierig es ist, die richtigen Anreize für die Händler zu setzen und die erforderlichen Marketingausgaben sowie andere Investitionskosten zuzuordnen. Zum einen beherbergt die Region mehrere Ethnien, Sprachen, Verbraucherpräferenzen und Vorschriften. So sind beispielsweise in Indonesien ausländische Direktinvestitionen in lokale E-Commerce-Einzelhändler gesetzlich untersagt. In Südostasien gibt es außerdem keine stabile regionale Zahlungs- und Logistikinfrastruktur – zwei grundlegende Faktoren für das beeindruckende Wachstum des digitalen Handels in China. Darüber hinaus haben sich die Verbraucher noch immer nicht vollständig mit E-Commerce-Plattformen angefreundet. Sie stören sich daran, dass sie die Produkte vor dem Kauf nicht in die Hand nehmen können und haben Mühe, die gewünschten Waren überhaupt zu finden. Derartige Beschwerden über E-Commerce-Märkte, die noch in den Kinderschuhen stecken, sind nicht ungewöhnlich. Daher scheint es quasi vorprogrammiert, dass der E-Commerce in der Region in Zukunft auf breite Akzeptanz stoßen wird – insbesondere angesichts der großen Bevölkerung, die sich sicher in der digitalen Welt bewegt.

Ein einzigartiger Markt. Südostasien ist jedoch kein Markt wie jeder andere. Was macht die digitalen Konsumenten so besonders? Zunächst ist festzuhalten, dass sie große technologische Sprünge gemacht haben. Jenseits der großen Metropolen haben viele Menschen überwiegend über Mobiltelefone Zugang zu digitalen Plattformen, die wenigsten nutzen einen Computer. In Thailand verwenden 85 Prozent der Verbraucher, die nicht in einer der großen Metropolregionen leben, mobile Geräte für den Einkauf im Internet (Abb. 2). Ein weiterer Aspekt, der die Menschen in Südostasien von Onlineshoppern in anderen Märkten unterscheidet: Digitale Verbraucher können aus zahlreichen Websites wählen. In Singapur etwa bedienen nicht weniger als zwölf Plattformen 90 Prozent des Marktes.

„Über 80 Prozent der digitalen Verbraucher in der Region nutzen soziale Medien wie Instagram, um Produkte zu suchen oder Verkäufer zu kontaktieren.“

Diese Fragmentierung hat zahlreiche Konsequenzen. Zum einen ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass Verbraucher auf der Suche nach Produkten zunächst Suchmaschinen nutzen – und nicht direkt auf die Internetseiten der Unternehmen gehen. Und da der digitale Verbraucher in Südostasien wenig Kundentreue gegenüber Handelsplattformen zeigt, ist er der ideale Kandidat für Shopping über die sozialen Medien. Tatsächlich spielt der sogenannte Social Commerce in der Region eine wichtige Rolle. Über 80 Prozent der digitalen Verbraucher in der Region nutzen soziale Medien wie Instagram, um Produkte zu suchen oder Verkäufer zu kontaktieren. Bis zu 30 Prozent aller Transaktionen entfallen auf den Vertrieb über soziale Medien. Daher erweitern Unternehmen schnell ihr Dienstleistungsangebot, um Kunden anzuziehen.

In vielen Märkten entscheiden sich Verbraucher gegen einen klassischen Einkauf im Laden und für das Internet, wenn sie das günstigste Produkt finden wollen. In Südostasien ist das jedoch nicht der Fall. 60 Prozent der befragten Verbraucher geben als maßgeblichen Grund für ihre Kaufentscheidung ihre eigenen Erfahrungen an. 61 Prozent verwiesen auf die Auswahlmöglichkeiten. Lediglich für 45 Prozent ist der Preis entscheidend. Wenn es darum geht, sich für einen bestimmten Händler auszusprechen, geben der Studie zufolge 47 Prozent der digitalen Verbraucher ihre Erfahrungen im Internet weiter. Das unterstreicht einen Trend mit weitreichenden Auswirkungen für E-Commerce-Akteure. Ein letzter Unterschied: Anders als in vielen anderen Märkten, in denen die meisten Zahlungen bargeldlos, etwa mit Kreditkarte, erfolgen und in denen vorzugsweise eine Lieferung nach Hause gewünscht wird, präferieren Konsumenten in Südostasien andere Zahlungs- und Liefermethoden. Über ein Drittel aller Verbraucher, die in Großstädten oder deren Umland leben, bevorzugen Barzahlung bei Ankunft der Bestellung.

Während in den Metropolen der Region die Lieferung bis an die Haustür gewünscht wird, holen Onlinenutzer in anderen Gebieten ihre Einkäufe lieber selbst ab.

Wie lautet das Erfolgsrezept? Beim Thema Customer Advocacy haben sich lokale und regionale Akteure als Gewinner der ersten Stunde erwiesen.

Der maßgebliche Grund: Sie können den lokalen Verbrauchern ein besseres Kundenerlebnis bieten als globale Wettbewerber. Regionale Marktführer wie Lazada haben in jedem Markt eine lokale Logistik für mehr Zuverlässigkeit bei der Lieferung aufgebaut. Das Unternehmen setzt zusätzlich Motorradfl otten ein, um schnellere Optionen als die klassischen Lkw-Lieferungen anbieten zu können.

Lokale Start-ups gehen ebenfalls neue Wege. Das Unternehmen Uskoop aus Singapur sammelt beispielsweise Bestellungen bei Händlern in den USA, um den Verbrauchern hohe Rabatte bei den Liefergebühren bieten zu können.


Wie lautet das Erfolgsrezept? Beim Thema Customer Advocacy haben sich lokale und regionale Akteure als Gewinner der ersten Stunde erwiesen. Der maßgebliche Grund: Sie können den lokalen Verbrauchern ein besseres Kundenerlebnis bieten als globale Wettbewerber. Regionale Marktführer wie Lazada haben in jedem Markt eine lokale Logistik für mehr Zuverlässigkeit bei der Lieferung aufgebaut. Das Unternehmen setzt zusätzlich Motorradfl otten ein, um schnellere Optionen als die klassischen Lkw-Lieferungen anbieten zu können. Lokale Start-ups gehen ebenfalls neue Wege. Das Unternehmen Uskoop aus Singapur sammelt beispielsweise Bestellungen bei Händlern in den USA, um den Verbrauchern hohe Rabatte bei den Liefergebühren bieten zu können.

„E-Commerce ist ein schnelllebiges Geschäft, größere Akteure verändern die Spielregeln.“

E-Commerce ist ein schnelllebiges Geschäft, größere Akteure verändern die Spielregeln. Zukunftsorientierte Händler investieren, um das Potenzial sowohl physischer als auch digitaler Kanäle zu maximieren. Social- Media-Unternehmen loten stetig die Grenzen des Social Commerce neu aus. Und globale Spieler, die bislang am Spielfeldrand standen, sind nun bereit, sich in den Wettbewerb in Südostasien zu stürzen. Unternehmen, die hier erfolgreich sein wollen, müssen jetzt ihre Strategie festlegen: Wo und wie wollen sie investieren und wie müssen sie vorgehen, um sich in diesem komplexen Markt zurechtzufinden? Für diese Unternehmen gelten drei Grundregeln:

  • Ganz oder gar nicht. Jetzt ist der Zeitpunkt, sich für eine Richtung zu entscheiden und zur Tat zu schreiten. Das Ökosystem nimmt endlich Gestalt an, der Markt kommt allmählich auf Touren. In diesem Markt geht es nicht mehr um kleine Einsätze. Es ist von entscheidender Bedeutung, alle Dimensionen des digitalen Ökosystems zu berücksichtigen, um Chancen nutzen zu können und nicht den Anschluss zu verlieren.

  • Partner mit Bedacht auswählen. In einem derart vielseitigen Markt bedeutet Erfolg, die richtigen lokalen Partner zu fi nden – und einen differenzierten Ansatz zu verfolgen. Es gibt keine Wunderwaffe. Es geht vielmehr darum, die geeigneten Partner für jede gewünschte Kategorie, jedes Segment und jede Region zu finden. Das Ökosystem entwickelt sich noch immer weiter. Es zeichnet sich gerade erst ab, wer gewinnen wird. Deshalb ist es wichtig, die Einsätze zu diversifizieren, um die eigenen Erfolgschancen zu erhöhen.

  • Auf eine lange Reise vorbereiten. Die meisten Unternehmen, die auf einen Erfolg in der digitalen Welt hoffen, erkennen, dass sich dieses Projekt über mehrere Jahre erstrecken wird. Für die Digitalisierung eines traditionellen Unternehmens müssen die richtigen Kompetenzen aufgebaut werden – keine leichte Aufgabe in einem Land mit nur wenig gut geschultem Personal wie in Südostasien. Darüber hinaus muss das Unternehmensmodell mit Blick auf die neue digitale Strategie grundlegend verändert werden.

Um das volle Potenzial im E-Commerce in Südostasien auszuschöpfen, ist ein Kraftakt erforderlich. Und das wird nicht über Nacht geschehen.

 

 

 

 

 

 

Serge Hoffmann

Serge Hoffmann ist Partner bei Bain & Company in München. Er ist Experte in den Praxisgruppen Konsumgüter und Einzelhandel und darüber hinaus im Bereich Retail für Digitalisierung zuständig.