Chancen und rechtliche Beschränkungen im vietnamesischen Gesundheitsmarkt

Nach Schätzungen werden die Gesamtausgaben im vietnamesischen Gesundheitssektor bis zum Jahr 2021 bei jährlichen Wachstumsraten um 12,5 % ein Volumen von 22,7 Mrd. USD erreichen. Für europäische Hersteller von Medizingeräten, Arzneimitteln, aber auch Nahrungsergänzungsmitteln und diätetischen Lebensmitteln sowie für Dienstleister ergeben sich hieraus große Chancen, denen allerdings noch immer erhebliche Marktzugangsbeschränkungen und teilweise unübersichtliche Lizensierungsanforderungen gegenüberstehen.


Die guten Aussichten ergeben sich vor allem aus den Engpässen bei den Kapazitäten von Krankenhäusern und bei der Versorgung mit modernen Medizingeräten. Das hat zur Folge, dass nach Schätzungen des vietnamesischen Gesundheitsministeriums jedes Jahr ca. 40 000 Vietnamesen zur Behandlung ins Ausland reisen und hierbei ca. 2 Mrd. USD ausgeben. Der Zugang zum vietnamesischen Gesundheitsmarkt ist aber auch darüber hinaus unter bestimmten Bedingungen vielversprechend.

1. Arzneimittel      
Ausländische Arzneimittel bedürfen grundsätzlich einer Marktzulassungsnummer, die von der Arzneimittelverwaltung des vietnamesischen Gesundheitsministeriums (MOH) vergeben wird. Nach Erteilung einer solchen Zulassungsnummer können die betreffenden Arzneimittel ohne Importlizenz nach Vietnam eingeführt werden. Eine Befreiung vom Erfordernis klinischer Versuche in Vietnam gilt für Generika und in der EU verkehrsfähige Arzneimittel, für die Sicherheits- und Wirkungsnachweise vorliegen. Für Arzneimittel mit identischen Wirkstoffen, Konzentrationen und Handelsnamen kann ein Hersteller außerdem eine Parallelimporterlaubnis beantragen. Seit 2009 können ausländische Investoren 100 %ige Tochtergesellschaften für den Import von Arzneimitteln in Vietnam gründen. Nach einem Dekret aus dem Jahre 2017 dürfen diese Gesellschaften die importierten Arzneimittel allerdings nicht in Vietnam vertreiben. Vielmehr müssen die Arzneimittel über lokale Großhändler abgegeben werden. Im Zusammenhang mit dem Vertrieb dürften ausländisch investierte Unternehmen auch keine Lagerhaltung oder Transportdienste erbringen, Preise oder eine Verkaufsstrategie festlegen oder finanzielle Unterstützung für Käufer erbringen. Diese Beschränkungen werden in der Praxis von vielen ausländischen Herstellern, die in Vietnam vertreten sind, als zu einschränkend empfunden. Das vietnamesische Arzneimittelgesetz unterscheidet zwischen verschreibungspflichtigen und nicht verschreibungspflichtigen (OTC) Arzneimitteln. Jegliche Werbung für verschreibungspflichtige Arzneimittel ist in Vietnam unzulässig. Ärzte dürfen in keiner Form Arzneimittel an Patienten verkaufen. Inzwischen sind auch private Apotheken zulässig und die Qualifikationsanforderungen für Apotheker sind gesetzlich klar geregelt.

2. Medizingeräte  
Die vietnamesische Regierung fördert grundsätzlich den Import von Medizingeräten, da die lokale Industrie den steigenden Bedarf nicht decken kann. Dazu passt, dass die Einfuhrzölle für Medizingeräte größtenteils bei Null liegen und keine Quotenbeschränkungen bestehen. Ausländische Hersteller, die Geräte nach Vietnam liefern wollen, müssen jedoch einschlägige Klassifizierungs- und Registrierungsvorschriften beachten. Einschlägig ist hier ein Dekret aus dem Jahre 2017, das am 31. Dezember 2018 durch ein weiteres Dekret ergänzt und abgeändert wurde. Seit dem 1. Januar 2019 wird danach eine im Ausland vorgenommene Klassifizierung von Medizingeräten in Vietnam nicht mehr akzeptiert. Stattdessen ist eine Klassifizierung durch lokale Institutionen vorgeschrieben, die aber teilweise nicht über die nötige technische Ausstattung und Qualifikation verfügen. Ebenfalls seit 2019 ist jedem Registrierungsantrag für Geräte in der niedrigsten Risikokategorie A ein sog. Certificate of Free Sale (CFS) beizufügen, das vorher nicht erforderlich war. Bei Geräten aus Deutschland ist in diesem Fall eine gesonderte Bescheinigung über die Verkehrsfähigkeit des Medizinprodukts in Deutschland zu beantragen, da das CE-Kennzeichen nur den Vertrieb innerhalb des europäischen Wirtschaftsraums ermöglicht. Umgekehrt sind aber auch gewisse Erleichterungen zu verzeichnen. Für Geräte in den Kategorien B, C und D 3 I ist eine neue „Fast-Track-Zulassung“ vorgesehen, wenn das betreffende Produkt bereits in zwei Ländern aus einer Referenzgruppe (Japan, Kanada, Australien, USA oder EU) im Umlauf war. Ab dem 1. Januar 2020 wird außerdem für Geräte in den Klassen B, C und D aus anderen ASEAN-Mitgliedsländern zusätzlich das sog. ASEAN Common Submission Dossier Template (CSDT) vorzulegen sein. Ausländische Hersteller von Medizingeräten können in Vietnam Repräsentanzbüros gründen, die als Antragsteller für die lokale Zulassung der importierten Geräte auftreten können. Über diese Repräsentanzbüros kann auch der lokale Vertrieb der importierten Geräte sowie Reparatur- und Wartungsleistungen unterstützt werden. Für die Ausführung dieser Leistungen und die Abrechnung gegenüber lokalen Kunden wird meist ein lokaler Partner beauftragt, der über das erforderliche technische Personal und eine Lagereinrichtung verfügt.

3. Lebensmittel     
Auch im Bereich des Lebensmittelrechts gibt es in Vietnam bereits einen relativ umfassenden rechtlichen Rahmen. Lebensmittel des allgemeinen Verzehrs sowie vorverpackte Lebensmittel können in der Regel im Wege eines vereinfachten Verfahrens zur Einfuhr freigegeben werden. Besondere Anforderungen gelten etwa jedoch für Nahrungsergänzungsmittel, diätetische Lebensmittel und Säuglingsnahrung. Hier hat der Antragsteller Gesundheitszeugnisse bzw. ein Certificate of Free Sale aus dem Ursprungsland sowie wissenschaftliche Wirkungsnachweise des Produkts oder seiner Zutaten und ein Food Safety Data Sheet beizubringen, seit dem 1. Juli 2019 außerdem ein GMP-Zertifikat. Die Kennzeichnungsvorschriften für importierte Lebensmittel ergeben sich aus dem vietnamesischen Lebensmittelsicherheitsgesetz sowie den dazu erlassenen einschlägigen Dekreten und Zirkularen. Ein Etikett in vietnamesischer Sprache mit bestimmten gesetzlichen Pflichtangaben ist stets erforderlich. Sonderregelungen sind für funktionelle Lebensmittel zu beachten. Unter diesem Begriff werden in Vietnam Nahrungsergänzungsmittel, aber auch bestimmte diätetische Lebensmittel (sog. Food for Special Medical Purposes „FSMP“) gefasst. Für diese Lebensmittelkategorien sind besondere Kennzeichnungszusätze vorgeschrieben. Bei der Werbung für funktionelle Lebensmittel ist zwingend darauf hinzuweisen, dass diese nicht zur Diagnose, Behandlung, Heilung oder Vorbeugung gegen Krankheiten bestimmt sind.

4. Dienstleistungen im Gesundheitssektor         
Derzeit lässt sich beobachten, dass vietnamesische Investoren verstärkt den Bau neuer Krankenhäuser vorantreiben. Bei solchen Projekten eröffnen sich vielfältige Betätigungsmöglichkeiten für spezialisierte ausländische Planungsunternehmen und andere Dienstleister. Das vietnamesische Recht erlaubt es ausländischen Unternehmen, auch ohne eigene Tochtergesellschaft im Land Ingenieur- und Planungsleistungen sowie Projektmanagement für Bauprojekte im Gesundheitssektor zu erbringen. Die Leistungen können dabei in Form eines sog. EPC-Vertrages erbracht werden, bei dem der ausländische Dienstleister die schlüsselfertige Errichtung des Projekts übernimmt. Voraussetzung für die Erbringung solcher Leistungen ist die Erteilung einer besonderen Lizenz durch die vietnamesischen Baubehörden. Im Rahmen der Beteiligung an einer Ausschreibung und der Beantragung dieser Lizenz kann der ausländische Dienstleister allerdings gehalten sein, mit einem vietnamesischen Bauunternehmen ein Joint Venture einzugehen oder entsprechende Unteraufträge zu vergeben. Die Anforderungen im Einzelfall ergeben sich aus den Vorgaben des Projektbetreibers und den Verhandlungen zwischen den Parteien. Anbieter, die sich an Ausschreibungen in Vietnam beteiligen wollen, sollten zudem mit den Besonderheiten des vietnamesischen Ausschreibungsrechts vertraut sein.

Zusammenfassung
Insgesamt lässt sich feststellen, dass es eine große Bandbreite von Betätigungsmöglichkeiten für ausländische Lieferanten und Dienstleister im vietnamesischen Gesundheitssektor gibt. Durch den Abschluss des Freihandelsabkommens zwischen der Europäischen Union und Vietnam sind in diesem Bereich weitere Impulse zu erwarten. Interessierte Anbieter sollten sich jedoch unbedingt mit den rechtlichen Voraussetzungen und Beschränkungen in Vietnam vertraut machen, die für ihr jeweiliges Produkt oder ihre Dienstleistung gelten, und sollten Verträge mit vietnamesischen Partnern nicht abschließen, ohne sich vorher über die Implikationen des rechtlichen Umfelds in Vietnam beraten zu lassen.


Dr. Jörg-Michael Scheil

Dr. Jörg-Michael Scheil ist Rechtsanwalt und Partner von Schulz Noack Bärwinkel (SNB Law) und hat mehr als 20 Jahre Erfahrung in Asien. Er ist als ausländischer Anwalt in Vietnam und China zugelassen und berät regelmäßig europäische Mandanten aus dem Gesundheitssektor und der Lebensmittelindustrie bei Markteintritt, regulatorischen Fragen und Vertragsgestaltung in Vietnam.